Dysreguliertes Nervensystem in der Schwangerschaft

Inhaltsverzeichnis

Du träumst von einer entspannten, kraftvollen Schwangerschaft mit Gelassenheit und Ruhe. Aber Ruhe findest du einfach nicht? Deine Gedanken drehen sich im Kreis und spüren tust du schon mal rein gar nichts? Selbst wenn du Zeit hast, kannst du dich einfach nicht entspannen? Oder ist es genau andersherum? Du bist so erschöpft, dass du nur noch auf dem Sofa liegen möchtest und für nichts anderes mehr Kraft findest?

Die Zustände des autonomen Nervensystems

Ich möchte dir in diesem Blogartikel etwas über die verschiedenen Zustände des autonomen Nervensystems erzählen und welche Rolle sie in dem obengenannten Beispiel spielen könnten. Denn der Zustand unseres Nervensystems beeinflusst, wie wir Ereignisse in unserem Leben bewerten und darauf reagieren.

Das autonome Nervensystem ist für die unbewusst ablaufenden Körperreaktionen zuständig und besteht aus zwei Hauptkomponenten, dem Sympathikus und dem Parasympathikus.

  1.  Sympathikus: Der Sympathikus wird aktiviert, wenn wir uns in stressigen oder bedrohlichen Situationen befinden. Körperliche Reaktionen, die mit der Aktivität des Sympathikus einhergehen, zielen alle darauf ab, den Körper in Leistungsbereitschaft für Kampf oder Flucht zu versetzen. Blutdruck, Atem- und Herzfrequenz steigen, die Verdauung wird heruntergefahren usw.
  2. Parasympathikus: Der Parasympathikus dient der Erholung und der Verdauung („Rest and Digest“). Unter seinem Einfluss sinken die Herzfrequenz, der Blutdruck und die Atmung und gleichzeitig wird die Verdauung angeregt.

Das Nervensystem im regulierten Zustand

Befindet sich unser Nervensystem in einem gut regulierten Zustand, ist es schwingungsfähig. Das Wort „schwingungsfähig“ möchte ich nochmal ausdrücklich betonen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass das Leben mit einem regulierten Nervensystem ein Leben ohne Herausforderungen und Stress sei. Wie oben beschrieben wird in  Gefahrensituationen der Sympathikus aktiviert und ist die Gefahr vorbei, fährt das System langsam wieder herunter in einen parasympathisch dominierten Zustand. 

Menschen mit einem regulierten Nervensystem empfinden ihre Welt als sicher, unterstützend und voller Handlungsoptionen. Sie fühlen sich mit ihren Mitmenschen verbunden und können sich selber gut wahrnehmen, ihre Bedürfnisse spüren und angemessen kommunizieren.

Vorteile eines regulierten Nervensystems in der Schwangerschaft

Das ist natürlich der optimale Zustand sowohl für dich als Schwangere als auch für dein Baby.

Gute Selbstfürsorge als Basis für eine kraftvolle Schwangerschaft

Mit einem gut regulierten Nervensystem nimmst du dich und deine Bedürfnisse ernst. Auf diese Weise sorgst du gut für dich selbst. Regelmäßige Pausen, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, genügend Bewegung und unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen sind für dich selbstverständlich. Damit wird dein Kind sowohl während als auch nach der Schwangerschaft ausgezeichnet von dir versorgt.

Unterstützung der Bindungsentwicklung

Du transportierst das Gefühl von Sicherheit, das für alle Menschen eine immense Bedeutung hat und ganz besonders für Babys. Du bist in der Lage, dich bereits in der Schwangerschaft voll und ganz auf dein Baby einzulassen und hast damit beste Voraussetzungen für den Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung mit deinem Kind.

Entwicklung von Klarheit für deinen /euren Weg

Du fühlst dich besser mit dir selber verbunden, wodurch es dir leichter gelingt, deine eigenen Entscheidungen zu treffen und nach außen zu vertreten. Die Klarheit, die du ausstrahlst, kann euch auch in schwierigen Zeiten als Leitstern dienen.

Positiver Einfluss auf das Stresssystem deines Babys

Das Stresssystem des Babys entwickelt sich bereits während der Schwangerschaft. Es orientiert sich dabei an deiner Stresshormonausschüttung. Mit einem gut regulierten Nervensystem bietest du deinem Kind die Grundlage selber ein stabiles Stresssystem entwickeln zu können.

Beste Voraussetzung für gelingende Co-Regulation

Die Selbstregulation wird im Laufe der Kindheit zunächst anhand der erlebten Interaktionen mit den engsten Beziehungspersonen erlernt. Dabei leihen sich Babys sozusagen das Nervensystem der Mutter (beispielhaft für alle Bindungspersonen) für ihre eigene Regulation aus. Je besser  die Mutter also in der Lage ist, sich selber zu regulieren, umso besser sind die Voraussetzungen für eine gelingende Co-Regulation.

Unterstützend beim Geburtsprozess

Auch für den herausfordernden Prozess der Geburt ist es von Vorteil, wenn sich dein Nervensystem in einem gut regulierten Zustand befindet. Damit bist du in der Lage, dich immer wieder selber in den notwendigen Entspannungsmodus hineinzuversetzen.

Das Nervensystem im dysregulierten Zustand

Ist das Gleichgewicht zwischen sympathischem und parasympathischem Nervensystem gestört, spricht man von einer Dysregulation des autonomen Nervensystems.  Dabei kann das System sowohl in der Übererregung als auch in der Untererregung feststecken oder aber scharf zwischen diesen Zuständen hin- und herpendeln.

Ursachen einer Dysregulation

Die Aufgabe unseres Nervensystems besteht seit eh und je darin uns zu schützen. Sobald unsere Sicherheit bedroht scheint, kommt es zu einer Kampf- oder Fluchtreaktion. Dabei geht es nicht nur unmittelbar um unsere körperliche Unversehrtheit, sondern auch um unsere soziale Anerkennung. Denken wir an einen Steinzeitmenschen zurück, der, wenn er aus seiner Gruppe ausgestoßen wurde, nur schwer überleben konnte. Auch heute noch suchen wir die Anerkennung durch andere Menschen. Gerade in der Zeit der Schwangerschaft stehen wir unter besonderer Beobachtung unseres Umfeldes. Dabei hat jeder seine eigenen Vorstellungen, welches Verhalten in der Schwangerschaft förderlich ist und welches nicht. Wir befinden uns also in einer Situation, in der es nahezu unmöglich ist, es allen recht zu machen. Sind wir dabei sehr am Außen orientiert, bringt uns diese Situation in große Schwierigkeiten.

 

Bei der Einschätzung von bedrohlich empfundenen Situationen spielen auch unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit eine wichtige Rolle. Hast du beispielsweise als Schülerin die Erfahrung gemacht, dass du während eines Referates von deinem Lehrer vor der Klasse bloßgestellt wurdest, wirst du in Zukunft versucht haben, ähnliche Situationen zu meiden. Je nachdem wie einschneidend das Erlebnis war, wieviel positive Erfahrungen du ansonsten mit Referaten sammeln konntest und wie du von deiner Persönlichkeit gestrickt bist, wirst du möglicherweise auch noch im Erwachsenenalter das Sprechen vor Gruppen meiden, weil es dir Gefahr suggeriert.  Hast du hingegen als Schülerin viel Anerkennung für deine Vorträge erhalten, wirst  du eine ähnliche Situation viel positiver bewerten.

 

Es gibt viele Ursachen, die unser Nervensystem aus der Balance bringen. Neben emotionalem Ballast, den wir aus unserer Vergangenheit mit uns herumschleppen, gibt es in unserem schnelllebigen Alltag viele weitere Lebensumstände, die dysregulierenden Einfluss auf unser Nervensystem haben. Dazu zählen:

Verleugnen von Persönlichkeitsanteilen (z.B. von Gefühlen, Wünschen und Träumen)

Dieses Phänomen kennen viele von uns. Die Zusage mit ins Kino in den neuesten Thriller zu kommen, obwohl wir Thriller hassen, zählt genauso dazu wie das Verharren im unpassenden Job, weil wir noch immer befürchten durch das Aufgeben dieses Jobs bei unseren Eltern in Ungnade zu fallen.

 

Oft lernen wir schon früh uns anzupassen. Babys und kleine Kinder sind vom Wohlwollen der Bindungsperson(en) abhängig und spüren sehr schnell, wenn z.B. bestimmte Verhaltensweisen, Gefühle etc. nicht erwünscht sind. Sie versuchen sich mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten bestmöglich die Unterstützung der Erwachsenen zu sichern. Dabei werden Gefühle ausgeklammert oder es etablieren sich Verhaltensweisen, die dann nicht mehr bzw. nur schwer abgelegt werden können, obwohl sie in der späteren Kindheit oder dem Erwachsenenalter hinderlich sind.

 

Bekommen wir selber Kinder decken diese oft unsere wunden Punkte auf. Es liegt dann in unserer Hand wie wir damit umgehen und was wir an unsere Kinder weitergeben. Werden wir uns diesem Teufelskreis bewusst, ist das oft der erste Schritt hin zur Veränderung. Leben wir nicht unsere eigene Wahrheit, entfernen wir uns von uns selbst. Es kostet Kraft das eigene Ich zu unterdrücken und führt auf Dauer zu einer Dysregulation des Nervensystems.

Fehlendes Gefühl von Verbundenheit

Der Kontakt zu uns wohlgesonnenen Menschen (Freunde, Familie, Partner) hilft uns oft bei unserer eigenen Regulation. Wir kennen das alle: wir kommen nach Hause, sind total genervt oder gestresst und erzählen unserem Partner oder unserer Freundin erstmal, was alles schief gelaufen ist an diesem Tag. Konnten wir uns „alles von der Seele reden“ und werden wir dann vielleicht nochmal umarmt, geht es uns meistens gleich viel besser.

Fehlen uns Menschen, denen wir uns anvertrauen mögen, fällt diese Möglichkeit der Co-Regulation weg. Manchmal kommt es auch zu vielen Konflikten in unserem Umfeld. Dadurch erfährt unser System statt Unterstützung weiteren Stress, d.h. statt Regulation Dysregulation. 

Immer erreichbar sein

Sind wir permanent erreichbar, fällt es uns oft schwer, komplett abzuschalten. Wir bleiben in einer Hab-Acht-Stellung, weil wir nicht wissen, wann wer, was von uns fordert, insbesondere dann, wenn wir nicht wissen, ob noch berufliche Aufgaben auf uns zukommen.

Alles gleichzeitig machen

Multitasking ist leider eine Illusion. Viele Menschen können zwar mehrere Dinge gleichzeitig tun, allerdings wechselt dabei die Aufmerksamkeit in kurzen Abständen von der einen Aufgabe zur anderen. Das ist zum einen sehr energieraubend und zum anderen sehr fehleranfällig.

Ungesunde Ernährungsgewohnheiten

Auch eine unausgewogene Ernährung kann zu einer Dysregulation führen. Die fehlenden Nährstoffe setzten unseren Körper unter Stress und signalisieren uns einen Mangel.

Missachtung der physiologischen Bedürfnisse

Dieser Punkt scheint unscheinbar und ist dennoch so wichtig. Zu den physiologischen Bedürfnissen zählen Essen, Trinken, Schlafen und Toilettengang. Missachtest du deine physiologischen Bedürfnisse bringst du erneut mehr Stress in dein Nervensystem. Viele von uns kennen das Gefühl, dass sie wesentlich leichter gereizt sind, wenn sie unausgeschlafen oder hungrig sind.

Einige dieser Faktoren kannst du mit etwas Achtsamkeit im Alltag relativ einfach positiv beeinflussen und alleine dadurch schon viel Stress aus deinem System nehmen. Andere Faktoren hingegen brauchen Zeit und unter Umständen professionelle Begleitung, um sie zu lösen. 

Folgen einer Dysregulation in der Schwangerschaft

Befindet sich dein Nervensystem in der Dysregulation, werden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, die über die Plazenta auch zu deinem Baby gelangen. Einige der Folgen hiervon ergeben sich als Umkehrschluss aus den obengenannten Vorteilen eines regulierten Nervensystems, andere hingegen sind Ursache und Folge zugleich, so dass sie wie ein kleiner Teufelskreis wirken.

Weniger Selbstfürsorge

Steckt unser Nervensystem in einer Dysregulation fest, gelingt es uns nicht so gut unsere eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Oft fühlen wir uns unwohl, ohne genau benennen zu können, was die Ursache ist und nicht selten versuchen wir uns dann abzulenken und zu betäuben. Statt spazieren zu gehen ziehen wir uns eine Serie nach der anderen bei Netflix rein. Oder statt uns gesundes Essen zuzubereiten, stopfen wir uns mit Chips und Schokolade voll. Beides ist weder für dich noch für dein Baby hilfreich und obwohl das Wissen darüber da ist, fällt der Ausstieg mit einem dysregulierten Nervensystem an dieser Stelle oft sehr schwer.

Schnellere Überforderung während und nach der Geburt

Die Geburt und die Zeit danach erfordert eine große Anpassung von uns. Wir benötigen immer wieder unsere Selbstregulation. Dies zu erreichen ist sehr viel einfacher, wenn unser Nervensystem grundsätzlich reguliert ist, als wenn es ohnehin durch die bestehende Dysregulation nicht mehr gut in der Lage ist, zusätzlichen Stress zu halten.

Einstellung des Stresssystems deines Babys anhand deiner Hormone

Das Stresssystem des Kindes wird anhand der Stresshormone der Mutter eingestellt.

Durch dauerhaft hohe Stresshormone bei der Mutter kommt es in späteren Lebensjahren beim Kind zu einer erhöhten oder aber auch erniedrigten Cortisolfreisetzung. Beide Zustände werden in Zusammenhang mit Veränderung des emotionalen Erlebens und des Verhaltens bis hin zu psychischen Störungen in Verbindung gebracht.

Erhöhung der Wahrscheinlichkeit bestimmte Erkrankungen zu entwickeln

In den letzten Jahren gab es viel Forschung zu der sogenannten Epigenetik. Man hat gelernt, dass Gene nicht nur vererbt werden, sondern auch durch z.B. Umweltbedingungen an- und abgeschaltet werden können. So können bestimmte Gene beim Baby durch erhöhte Stresshormone verändert werden und damit die Anfälligkeit gegenüber bestimmten Erkrankungen (z.B. Asthma, Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2) erhöhen.


Für die letzten beiden Punkte ist es wichtig zu verstehen, dass die allermeisten Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten nicht monokausal entstehen, d.h. es gibt meistens viele Einflussfaktoren, die letztendlich dazu führen, dass die Störung zum Ausbruch kommt. Auch die ersten Lebensjahre sind eine sensible Phase, in der Erfahrungen einen prägenden Einfluss haben. Durch positive Erfahrungen in dieser Zeit können die Folgen von vorgeburtlichem Stress erheblich abgemildert und ausgeglichen werden.

Wie du dein Nervensystem zurück in die Balance führen kannst

Es braucht Zeit ein dysreguliertes Nervensystem wieder zurück in die Balance zu führen. Versuchen wir beispielsweise ein System in latenter Übererregung zu schnell herunter zu regulieren, führt das zu erneutem Stress mit der Konsequenz, dass wir wieder direkt in der Übererregung landen. Es ist also Fingerspitzengefühl und Achtsamkeit gefragt.

 

Auf dem Weg zu einem schwingungsfähigen Nervensystem können wir unseren Körper nutzen. Ein erster Schritt ist dabei unsere Körperempfindungen erstmal wieder bewusst wahrzunehmen. Ganz wichtig ist dabei, das Wahrgenommene nicht zu beurteilen, sondern einfach nur zu beobachten. Es ist okay, so wie es ist, so wie du es wahrnimmst.

Wenn du Lust hast einfache Körperübungen kennenzulernen, die du nutzen kannst, um dein Nervensystem zu regulieren, buche gerne ein kostenfreies  Impulsgespräch bei mir.

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