Schutz des Ungeborenen
Die Schwangerschaft ist eine besondere Zeit im Leben einer Frau genauso wie im Leben des noch Ungeborenen. Die meisten werdenden Mütter sind sich ihrer Verantwortung bewusst und setzen alles daran, ihr Baby in dieser sensiblen Phase zu schützen. Sie meiden Alkohol und Nikotin, befolgen Ernährungsvorschriften, nehmen Nahrungsergänzungsmittel ein, bereiten sich auf die Geburt vor und vieles mehr. Gleichzeitig stehen viele Frauen durch unsere moderne Lebensweise ständig unter Strom. In der Schwangerschaft kommen zusätzlich zum Alltag oft noch körperliche und emotionale Herausforderungen ebenso wie neue organisatorische Aufgaben hinzu. Obwohl die Folgen von (Dauer-)Stress in der Schwangerschaft wissentschaftlich inzwischen gut untersucht sind, ist die Sensibilität diesem Thema gegenüber noch nicht sehr ausgeprägt.
Alltagsstress – das tägliche Auf und Ab
Stress kann massive Auswirkungen auf den Verlauf der Schwangerschaft und v.a. auf das sich entwickelnde Kind haben. Dabei geht es nicht um den Alltagsstress*, der kommt und geht.
*Du hetzt den ganzen Vormittag von einem Termin zum nächsten, du spürst das Adrenalin förmlich durch deine Adern sausen und fängst schon an Kopfweh zu bekommen. Aber puh, dann kommt die Mittagspause… Zum Glück! Du nimmst dir Zeit in Ruhe zu essen und gehst noch eine kleine Runde spazieren. Dabei fühlst du wie sich deine Muskulatur wieder lockert und du wieder freier atmen kannst. Die Kopfschmerzen sind weg.
Stressige Momente gehören seit eh und je zu unserem Alltag. Wenn das problematisch für die Spezies Mensch wäre, wären wir längst ausgestorben. Das Erleben des Wechsels von stressigen und entspannten Momenten ist nicht nur nicht schädlich, sondern sogar förderlich für die Entwicklung deines Babys.
Dauerstress – die niemals endende To-do-Liste
Anders sieht es aus, wenn du in einer Dauerschleife aus Stress während der Schwangerschaft feststeckst. Gründe dafür gibt es viele: Dauerbelastung im Job, Beziehungsprobleme, (Zukunfts-)Ängste, finanzielle Sorgen, gesundheitliche Probleme…
Oft sind es aber die eigenen zu hoch gesteckten Ziele. Gerade in der Schwangerschaft wollen viele Frauen ihre angefangenen Aufgaben noch vor der Geburt fertigstellen. Noch schnell den Studienabschluss machen, das Haus fertig bauen, das Zimmer renovieren, das Projekt bei der Arbeit abschließen…
Kennst du das? Meist ist der dahinterstehende Gedanke gut nachvollziehbar. Sobald das Baby geboren ist, möchtest du ihm deine ganze Zeit widmen und nicht noch dies und das und jenes im Hinterkopf haben.
Stress in der Schwangerschaft – Auswirkungen auf dein Baby
Mache dir jedoch immer bewusst, dass dein Baby schon jetzt bei dir ist!
Es nimmt deine Stimmung auf und bekommt deinen Hormoncocktail weitergereicht. Anhand dieser Informationen stellt der Körper deines Babys sein eigenes Stresssystem ein. Die Stresshormone sind verantwortlich dafür, dass Gene an- und abgeschaltet werden und Reifungsprozesse anders verlaufen als ohne Stress.
Das alles KANN (muss nicht) dazu führen, dass dein Baby später gesundheitliche Probleme entwickelt.
Unabhängig von deinem Kind reagiert auch dein Körper auf andauernden Stress, der letztlich zu vorzeitigen Wehen und einer Frühgeburt führen kann.
Gefühle und Gedanken
Doch was mache ich jetzt mit dieser Information, fragst du dich vielleicht? Eventuell spürst du zusätzlichen Druck, weil jetzt auch noch die Verantwortung für den Umgang mit deinem Stress in der Schwangerschaft auf dir lastet und die Warnung, dass du deinem ungeborenen Baby schaden könntest, wie ein Damoklesschwert über dir schwebt.
Die meisten Menschen versuchen das aufkommende, unangenehme Gefühl schnell zu unterdrücken. Diese Reaktion ist verständlich, denn die meisten von uns haben nicht gelernt mit unangenehmen Gefühlen umzugehen. Das unterdrückte Gefühl wird allerdings als weitere Erfahrung in unserem Nervensystem abgespeichert. Dadurch schwächt es unsere Stresstoleranz ein weiteres (winziges) Stückchen.
Spannend ist zu wissen, dass laut der Neurowissenschaftlerin Dr. Jill Bolte Taylor eine Emotion maximal 90 Sekunden im Körper bleibt. Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn wir es schaffen, sie nicht immer wieder durch bewertende Gedanken erneut anzuregen. Gedanken können nämlich interessanterweise den gleichen Einfluss haben wie tatsächlich stattfindende Ereignisse.
Übung: Wie fühlt sich Stress in deinem Körper an
Vielleicht hast du Lust, es selber mal auszuprobieren. Solltest du zu den Leserinnen gehören, die durch den oberen Absatz (Stress – Auswirkungen auf dein Baby) zusätzlichen Stress empfunden haben, lies ihn nochmal und nimm dir die Zeit, deine Körpergefühle anderthalb Sekunden lang einfach nur wahrzunehmen. Kein Bewerten, kein Unterdrücken, kein erneutes Durchleben. Was hast du wahrgenommen? Was spürst du jetzt in deinem Körper? Alle Empfindungen sind okay und werden nicht bewertet.
Du kannst diese Übung natürlich auch mit allen anderen (unangenehmen) Gefühlen machen, denen du im Alltag begegnest. Das schult deine Körperwahrnehmung und hilft dir Negativkreisläufe zu durchbrechen.
Sollte dir die Übung nicht gelungen sein, gilt auch hier, einen bewertungsfreien Blick zu behalten. Manchmal hilft es, einen anderen Menschen zu bitten, diese Übung zu begleiten und dem anderen die wahrgenommenen Beobachtungen zu schildern.
Gelegentlich haben wir uns auch so weit von unserer Körperempfindungen entfernt oder die Wahrnehmung unseres Körpers wird von unserem Nervensystem aus irgendeinem Grund als unsicher empfunden, dass es Zeit, Übung und eventuell professionelle Unterstützung braucht, um wieder ins Spüren zu kommen.
Gute Nachrichten: Folgen von Stress in der Schwangerschaft abmildern
Kehren wir nun zurück zum Thema Stress in der Schwangerschaft. Zunächst möchte ich dich beruhigen und etwas Druck aus dem Thema nehmen.
In der Schwangerschaft werden lediglich Weichen für dein Baby gestellt und Wahrscheinlichkeiten mitgegeben. Das heißt allerdings nicht, dass dein Kind in bestimmten Bereichen tatsächlich Probleme entwickeln wird. Dazu ist das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren viel zu komplex und Schwierigkeiten in der Regel nicht monokausal.
Babys, die in der Schwangerschaft großem Stress ausgesetzt waren, können sich zu starken, gesunden und sehr resilienten Kindern entwickeln. Das wird insbesondere durch eine feinfühlige Begleitung und eine sichere Bindungsentwicklung gefördert.
Ein Grund mehr deinen Stress so früh wie möglich anzugehen, denn je besser du dich selber regulieren kannst, umso feinfühliger und empathischer kannst du dein Kind begleiten.
Dabei sei betont: Je eher du damit anfängst, dich um dich selber zu kümmern, umso mehr profitiert auch deine Familie und die Beziehung zu den einzelnen Familienmitgliedern davon. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es irgendwann zu spät ist, damit anzufangen. Es lohnt sich IMMER! Für dich. Für deine Kinder. Für deine Enkelkinder.
Kurze Auffrischung deines Schulwissens: Fight or Flight
Bevor wir uns damit befassen, welche Möglichkeiten wir haben mit unserem Stress umzugehen, werfen wir nochmal einen kurzen Blick darauf, wie Stress eigentlich definiert ist.
Stress ist die durch einen äußeren Reiz hervorgerufene körperliche und psychische Reaktion, die dem Körper hilft auf eine Änderung der Umgebung zu reagieren.
Geraten wir unter Stress werden Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol freigesetzt. Der Sympathikus wird aktiviert und sorgt dafür, dass wir in den „Fight- or Flight-Modus“ geraten, eine Art Alarmzustand, in dem der Körper kurzfristig zu maximaler körperlicher Leistung in der Lage ist. Dafür steigt der Blutdruck, der Herzschlag erhöht sich, die Verdauung wird heruntergefahren usw..
Ziehen wir hier das vielzitierte Beispiel des Säbelzahntigers vergangener Zeiten heran, konnten unsere Vorfahren blitzschnell (und zwar ohne Einschalten des Verstandes) entscheiden, zu kämpfen oder zu fliehen. Sowohl im Kampf als auch bei der Flucht wurden die Stresshormone rasch abgebaut und der Mensch ging (sofern er überlebt hat) wieder entspannt seinem Alltag nach.
Anders als in der Vergangenheit werden die Stresshormone heute meist nicht unmittelbar durch unsere körperliche Reaktion abgebaut, da wir weniger physischen Stressoren wie einem Angreifer ausgesetzt sind, als viel häufiger psychischen Stressoren wie z.B. Zeit- und Leistungsdruck, Lärm, permanente Erreichbarkeit…. Dazu kommt, dass die einzelnen Stressauslöser in viel schneller Abfolge auf uns einprasseln und sich allein aus diesem Grund oft schon potenzieren.
Dysregulation des Nervensystems
Hier kommt jetzt noch eine andere Ebene der Stressreaktion ins Spiel und zwar die subjektive Bewertung von Stressoren. Ist unser Nervensystem durch Dauerstress oder andere Faktoren wie z.B. unterdrückte Emotionen oder Traumata erst dysreguliert, ändert sich unsere Wahrnehmung. Unser Nervensystem reagiert dann immer häufiger auf nicht bedrohliche Reize mit einer übermäßigen Stressreaktion.
Hier ein kleines Beispiel: Deine Frauenärztin hat zum Beispiel bei einem Routine-Ultraschall im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge gesagt, dass sie die linke Niere deines Babys heute nicht gut darstellen kann. Sie erklärt dir, dass das immer mal wieder vorkommt und dass das keine klinische Bedeutung hat, also nicht heißt, dass dein Baby irgendein Problem mit der Niere hat. Sie verspricht dir beim nächsten Termin nochmal nach den Nieren zu schauen.
Mit einem regulierten Nervensystem wärst du vielleicht im ersten Moment beunruhigt, würdest dich aber Dank der Erklärung deiner Ärztin schnell wieder entspannen.
Ist dein Nervensystem dysreguliert, würde dich diese Situation in Alarmbereitschaft versetzen. Du würdest vielleicht nach dem Termin sofort, anfangen Informationen über Nierenfehlbildungen zu sammeln, könntest nachts aus Angst, dass mit deinem Baby etwas nicht in Ordnung ist, nicht schlafen und wärst bis zu deinem nächsten Termin in höchster Sorge und Unruhe.
Hier kannst du mehr über das dysregulierte Nervensystem in der Schwangerschaft erfahren.
Umgang mit Stress
Wir Menschen sind sehr unterschiedlich, daher gibt es auch für den Umgang mit Stress kein Patentrezept, das für jeden Menschen in jeder Situation gleich gut wirkt. Wichtig ist, dass du deine eigene Bewältigungsstrategie findest.
Empfehlungen für einen besseren Umgang mit Stress setzen an verschiedenen Punkten an: Stressanalyse, Stressbewertung, Reduktion von Stressoren, Abbau von Stresshormonen (körperliche Aktivität), Reduktion der Ausschüttung von Stresshormonen, Förderung von Regeneration (Entspannungsverfahren), Stärkung von Ressourcen.
Stressanalyse und Abbau von Stressoren
Schau dir einmal an, wann und wodurch du in deinem Alltag am meisten gestresst wirst. Werde dabei möglichst konkret, d.h. sage nicht nur „Die Arbeit stresst mich.“, sondern „Es stresst mich, dass das Telefon permanent klingelt, während ich mich auf eine wichtige Präsentation vorbereite.“. Dazu kann es hilfreich sein, eine Zeitlang ein Stresstagebuch zu führen.
In einem nächsten Schritt kannst du dann schauen, welche Stressoren du umgehen bzw. wofür du dir Hilfe holen kannst. In unserem obigen Beispiel könntest du eventuell für einen definierten Zeitraum eine Rufumleitung einstellen oder einen Anrufbeantworter laufen lassen.
Stressoren zu erkennen und kreative Wege zu finden, diese zu umgehen, ist auch in deinem Mama-Dasein unglaublich wichtig. Dabei ist entscheidend, dass die Lösung zu dir (und ggf. den anderen betroffenen Personen) passt. Gleichzeitig ist es völlig egal, was Dein Umfeld davon hält.
Hier ein Beispiel aus meiner Familie: Als wir vor einiger Zeit überlegt haben, wie wir unseren Familienstress am Morgen reduzieren können, haben wir gemeinsam entschieden, dass unsere Kinder am Abend schon die frischen Kleidung für den nächsten Tag anziehen. Die Reaktionen aus unserem Umfeld enthielt die gesamte Bandbreite von „Wie cool, das versuchen wir auch!“ bis hin zu „Das könnt ihr doch nicht machen. Die Kinder müssen lernen sich morgens zu beeilen.“. Egal, für uns funktioniert das Model und wir kommen morgens tatsächlich viel entspannter los. Andere Familien brauchen wahrscheinlich ganz andere Maßnahmen.
Entspannung und Sport
Die körperlichen Reaktionen, die durch das Erleben von Stress hervorgerufen werden, können mittels Sport oder Entspannungsverfahren wie z.B. Autogenem Training, Progressiver Muskelrelaxation, Achtsamkeit, Meditation, Yoga usw. reduziert werden. Entspannungsverfahren dienen dazu, die Ausschüttung von Stresshormonen zu bremsen. Mittels sportlicher Aktivität können Stresshormone aus dem Körper abgebaut werden. Was dir am besten hilft, ist sicher teilweise typbedingt und hängt von deinen persönlichen Vorlieben ab.
Manchmal ist es aber auch so, dass sich das Nervensystem durch den Dauerstress (oder andere Ursachen) in einem derart dysregulierten Zustand befindet, dass sich z.B. das Herunterfahren in einer Meditation so unsicher anfühlt, dass der Kampf- oder Fluchtmodus gleich wieder angeschaltet wird. Oder anders herum, dass alle Energie zur Bewältigung des Tages gebraucht wurde und das Nervensystem und damit der Körper am Abend in einer Untererregung feststeckt.
Typische Aussagen hierfür können sein: „Ich weiß ja wie gut Sport ist, aber nach der Arbeit bin ich so k.o., da kann ich mich zu nichts mehr aufraffen.“ oder „Ich habe schon so oft versucht zu meditieren, aber ich komme einfach nicht zur Ruhe. Das ist nichts für mich.“
Arbeit mit dem Nervensystem
Ein Weg raus aus dieser Negativspirale kann darin bestehen, deinem Nervensystem Stück für Stück wieder Sicherheit zu vermitteln, während du mit der auslösenden Situation verbunden bleibst. Dazu können verschiedene Tools und Techniken zum Einsatz kommen, die dich dabei unterstützen. Arbeitest Du regelmäßig mit deinem Nervensystem, bilden sich neue neuronale Verbindungen, so dass du bestimmte Reize und Situationen nicht mehr als bedrohlich empfindest und deshalb ganz anders mit ihnen umgehen kannst.
Langfristig baust du auf diese Weise eine höhere Stresstoleranz auf und erhältst dir die Schwingungsfähigkeit deines Nervensystems. Das bedeutet, dass du nach einer stressigen Situation in einer angemessenen Zeit wieder zurück in deinen entspannten Zustand findest.
Davon profitierst sowohl du selber als auch dein Kind. In den ersten Lebensjahren ist dein Kind nämlich auf die Co-Regulation durch dich angewiesen. Das wird dir umso besser gelingen, je besser du dich selbst regulieren kannst.
Wenn du Lust hast mehr über das Nervensystem und seinen Einfluss auf dich, dein Kind und eure Bindung zu erfahren, melde dich gerne für meinen Newsletter an!